Anhaltende psychische Gewalt findet im deutschen Strafrecht bislang kaum Beachtung. Ja, es gibt die Straftatbestände der Beleidung, der Nötigung, des Stalkings oder der Bedrohung. Doch mit ihnen ist das Verhaltensmuster, das Teil der Coercive Control, der Zwangskontrolle, ist, nicht abzubilden. Denn es geht ums Niedermachen des Gegenübers, um Kontrolle und Macht.
Gaslighting
Die Manipulation der (Selbst-)Wahrnehmung des Opfers, das Gaslighting durch den Täter spielt bei der psychischen Gewalt eine große Rolle. Wem ständig eingeredet wird, dass die eigene Wahrnehmung falsch ist, beginnt an sich selbst, den eigenen Gefühlen und Beobachtungen zu zweifeln. Zumal Täter die Wirklichkeit verdrehen und mit Sätzen wie „Da musst du dich verhört/falsch hingeschaut haben“ abstreiten, etwas gesagt oder getan zu haben – und das, obwohl es natürlich genauso war. Das verwirrt vollends, vor allem, wenn es sich beim Täter um eine Person handelt, die vorgibt, das Gegenüber zu lieben. Denn würde jemand, der einen liebt, wissentlich belügen?*
Unvorhersehbarkeit des Verhaltens
Hinzukommt: Die Täter reagieren immer wieder unvorhersehbar. An einem Tag sind sie die vermeintlich nettesten Menschen der Welt, am nächsten kann ein „falsches“ Wort (von dem die Opfer nicht einmal wissen, dass es „falsch“ sein könnte) zu einem heftigen Streit und zu den schlimmsten Beschimpfungen führen. Häufig strafen sie ihre Opfer im Anschluss mit Missachtung, ohne dass es erfährt, was es denn nun schon wieder angeblich falsch gemacht haben soll.
Leben auf dem Minenfeld
Anhaltende psychische Gewalt ist wie das Leben auf vermintem Gelände: Man weiß nicht, wo die nächste Mine liegt oder ob und wenn ja, wann sie hochgeht. Sie zerstört das Selbstwertgefühl und die Wahrnehmung der Opfer. Und sie versetzt die Opfer in Angst, in erhöhte Wachsamkeit (Hypervigilanz) und Dauerstress.
Und da wären wir beim Punkt, der meiner Meinung nach immer noch zu wenig Beachtung – auch durch das Strafrecht – findet: Ein Leben unter diesen Bedingungen zieht sehr häufig negative körperliche Folgen nach sich. Psychische Gewalt ist damit zugleich körperliche Gewalt.
Was psychische Gewalt mit dem Körper macht
Bei anhaltender Belastung durch psychische Gewalt schüttet der Körper dauerhaft Stresshormone aus. Normalerweise sollen diese Stresshormone den Körper dazu befähigen, kurzzeitig Höchstleistungen zu vollbringen, um zum Beispiel aus Gefahrensituationen fliehen zu können oder zum Kampf bereit zu sein. Sind diese Hormone jedoch dauerhaft im Körper vorhanden, können sie zur Entstehung von Krankheiten beitragen.
Zu den körperlichen Folgen von psychischer Gewalt zählen unter anderem:
- Gewichtsverlust, Gewichtszunahme oder starke Gewichtsschwankungen
- Erhöhter Blutdruck und damit die Gefahr für Herz-Kreislauferkrankungen
- Magen- und Darmbeschwerden wie Übelkeit, Sodbrennen, Durchfall oder auch Magengeschwüre
- Schlafstörungen
- Chronische Erschöpfung
- Hauterkrankungen
- Psychische Erkrankungen wie Depression oder Angstzustände
Es ist zwar noch nicht belegt, dass anhaltender Stress auch Krebserkrankungen begünstigen könnte, doch widerlegt ist diese Annahme ebenfalls nicht.
Das Gefühl, sich selbst zu verlieren
Viele Opfer empfinden die psychische Gewalt auch im Nachhinein aus mehreren Gründen als besonders belastend: weil sie das Gefühl hatten, sich selbst zu verlieren, nicht mehr wussten, was richtig oder falsch ist, was oder wem man vertrauen kann und selbst die eigenen körperlichen Empfindungen nicht mehr deuten konnten. Es braucht unter Umständen viel Zeit, sich von psychischer Gewalt zu erholen und wieder zu der Person zu werden, die man vorher war. Manches jedoch wird nie wieder so sein wie zuvor.
* Ja.